Die Sache mit dem Glauben

Die Sache mit dem Glauben
Ostern im Kindergarten

„Du glaubst noch an den Osterhasen?“ Lina steht, die Hände in die Hüften gestemmt, zusammen mit Anton, Clara und Daoud vor Nele. „Pah, du Baby, nur Babys glauben an den Osterhasen… Nele ist ein Baby! Nele ist ein Baby!“, singt Lina und lacht.

Die anderen drei lassen sich davon anstecken. „Kommt“, ruft Lina, „mit Babys spielen wir nicht!“ Sie stößt Nele unsanft zur Seite und die vier laufen kichernd davon.

Nele steht da, die Hände zu Fäusten geballt und kämpft mit den Tränen. Sie ist wütend, weil sie die Sache mit dem Osterhasen erzählt hat. 

Gleichzeitig ist sie traurig, weil Lina, Clara, Anton und Daoud doch eigentlich ihre Freunde sind.

Beim Mittagessen im Kindergarten hat Nele keinen richtigen Hunger. Sie sitzt an ihrem Platz und stochert mit der Gabel in ihrem Essen herum. Als sie zu Anton und Daoud hinüberschaut, grinsen beide und wackeln mit zwei Fingern hinter ihren Köpfen. Lina und Clara prusten gleich los, als das sehen. Nele schluckt und wird auf ihrem Stuhl ganz klein.

Plötzlich fühlt sie die Hand von Anne-Britt, der Kindergärtnerin, auf ihrer Schulter. Anne-Britt lächelt Nele aufmunternd an. „Na Nele, macht die Sache mit dem Osterhasen Kummer?“ Nele nickt und wundert sich: Woher weiß Anne-Britt davon?

Am nächsten Morgen sitzen alle Sternenkinder zusammen mit Anne-Britt im Stuhlkreis.
Die Sternenkinder sind die Großen im Kindergarten. Sie werden nach den Sommerferien in die Schule gehen.

„In wenigen Wochen feiern wir das Osterfest“, sagt Anne-Britt, „Wie in jedem Jahr wollen wir gemeinsam einen Ostergarten bauen, mit dem wir die Geschichte von Jesus nacherzählen. Da ihr die Großen seid, ist es eure Aufgabe den Garten zu gestalten.“

„Endlich sind wir dran!“, ruft Lina, deren Bruder im letzten Jahr zur Schule gekommen ist und Zuhause mit der Arbeit am Ostergarten mächtig angegeben hat. Die Kinder freuen sich riesig, denn der Ostergarten und die anschließende Osterfeier gehören zu den Höhepunkten im Kindergarten.

Nur Daoud sitzt ganz still da. „Wir Muslime feiern Ostern nicht“, sagt er leise. „Ich weiß, Daoud“, sagt Anne-Britt, „Ich habe bereits mit deinen Eltern gesprochen. Sie sind einverstanden, dass du an den Vorbereitungen und an unserer Osterfeier als Gast teilnimmst. Zum Geburtstag des Propheten Mohammed wird dein Vater in Kindergarten kommen. Er wird uns von dem muslimischen Lichtfest erzählen und dann werden wir eure Gäste sein.“

Daoud ist erleichtert, so kann er ohne schlechtes Gewissen mitmachen und sich mit den anderen auf die Aufgabe freuen.

„Da fällt mir ein, dass ich euch noch fragen wollte, wie ihr über den Osterhasen denkt?“, fragt Anne-Britt in die Runde. Nele bleibt fast das Herz stehen. Sie soll doch jetzt wohl nicht wirklich von der Sache mit dem Osterhasen erzählen? Bei dem Gedanken daran wird Nele knallrot im Gesicht.

Im Stuhlkreis kommt Unruhe auf. „Ach“, ruft Anton, „den gibt’s doch gar nicht! Das machen alles die Eltern, die verstecken die Eier und so.“ „Meine Mama sagt, den Osterhasen haben sich die Eltern vor 300 Jahren ausgedacht, damit die Kinder von Weihnachten bis Ostern brav bleiben. Ab Ostern muss dann wieder der Nikolaus herhalten. Das ist alles Blödsinn, sagt Mama“, erzählt Lukas.

„Pah, nur Babys glauben an den Osterhasen“, schnaubt Lina verächtlich und guckt dabei Nele an. Die möchte sich nun am liebsten in ein Hasenloch verkriechen.

Da fragt Clara: „Anne-Britt, glaubst du noch an den Osterhasen?“ Plötzlich wird es ganz still im Raum. „Nein“, sagt Anne-Britt. Anton, Clara und Lina feixen um die Wette und knuffen sich gegenseitig in die Seiten.

„Aber“, und dabei blickt sie Lina, Anton und Clara fest an, „in der Welt der Erwachsenen gibt es viele Dinge nicht, die es in der Welt der Kinder gibt. Dafür glauben Erwachsene an andere Dinge, die man nicht sehen oder beweisen kann: Der Glaube in den verschiedenen Religionen, an die Liebe und die Hoffnung.“

Beim Wort „Liebe“ fangen die Mädchen an zu kichern. „Als kleines Mädchen habe ich ganz fest an den Nikolaus, das Christkind und den Osterhasen geglaubt. Das war sehr schön und eine ganz geheimnisvolle, besondere Zeit, fast wie Magie. Ich war tagelang aufgeregt und habe mir vorgestellt, wie der Osterhase in seiner Osterhöhle die Eier sammelt und bemalt. Irgendwann habe ich nicht mehr daran geglaubt, doch noch heute bekomme ich ein ganz warmes Gefühl im Bauch, wenn ich an diese Zeit zurückdenke.“ Anne-Britts Augen leuchten vor Freude und sie sieht glücklich aus. „’Wer glaubt wird selig’, sagte meine Großmutter immer.“ Nele staunt. Sie fühlt sich genau so, wie Anne-Britt es beschrieben hat. Dieses schöne, warme Gefühl und die Vorfreude können ihr Lina, Clara, Anton und Daoud nicht nehmen. Da können die vier so viel lachen, wie sie wollen.

Die Sache mit dem Osterhasen muss jeder für sich selbst entscheiden, das weiß Nele jetzt.

Text: Nicole Potthoff